Ralf Bos berichtet über das Haus Stemberg in Velbert

Exklusive Restaurantkritik für Mr. Düsseldorf

Ralf Bos. Mehr muss man da wohl nicht sagen, oder? Ein echter Profi seines Fachs, hervorragender Gesprächspartner und überzeugter Genussmensch! Neben seinem erfolgreichen Feinkosthandel Bos Food betätigt sich Ralf regelmäßig als Autor! In diesem exklusiven Bericht für Mr. Düsseldorf schreibt er über das Haus Stemberg in Velbert, nur 20 Minuten von Düsseldorf entfernt.

Ralf Bos mit Trüffeln

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Alt bewehrt trifft neu Interpretiert: Das neue Restaurantkonzept im Haus Stemberg

Es ist natürlich befremdlich, ein Restaurant wie das Haus Stemberg, das sich seit 150 Jahren im Familienbesitz befindet als ein neues Restaurantkonzept zu titulieren. Hierzu eine kleine Erklärung. Es geht in diesen Reihen nicht um neue Restaurants, sondern um neue Konzepte. Es geht auch nicht darum den Erfinder des neuen Konzepts vorzustellen, sondern ausschließlich darum, einen Gastronomen vorzustellen, der ein neues Restaurantkonzept umgesetzt hat und damit erfolgreich ist. Natürlich kann der Gastronom auch der Erfinder sein, das spielt hier aber eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist es zu durchleuchten, ob solch ein Konzept Sinn macht und ob man Teile davon oder das ganze Konzept adaptieren kann. 

In der gängigen Praxis findet man in der gehobenen Gastronomie oft Konzepte, bei denen zwei Lokale von einer Küche beschickt werden oder zumindest von einem Gastronomen aus zwei separaten Küchen bekocht werden. Wobei das eine meist das feinere und das andere das etwas robustere Programm ist. Oft tragen die beiden Lokale dann die Namen Restaurant und Bistro. Die Kombination ist sinnvoll und nachvollziehbar. Für Ruhm und Ehre sorgen die Restaurants und für Profit und Umsatz die Bistros. Zudem kann man in den Bistros nicht nur einfachere und preiswertere Produkte verarbeiten, man hat auch eine sinnvolle Verwertung der nicht ganz so edlen Teile. Das Mittelstück des Rinderfilets für die Tournedos im Restaurant, Filetspitzen für Stroganoff im Bistro. 

Das Konzept des Haus Stemberg geht einen anderen Weg. 

Ein Restaurant mit zwei Küchen. Jetzt ist mit den beiden Küchen nicht gemeint, dass man die Vorspeise aus einer anderen Küche schickt als den Hauptgang. Architektonisch sind die beiden Küchen in einem Raum, es werden nur zwei verschiedene Küchenrichtungen angeboten. Deshalb proklamiert das Haus Stemberg dieses Konzept selber als „zwei Küchen von einem Herd“ Konzept, was die Sache griffig umschreibt.

Beim Haus Stemberg sind es mehrere Besonderheiten, die eine Nachahmung erschweren, obwohl das Konzept in sich schlüssig ist. Die erste Besonderheit ist die Inhaberstruktur. Seniorchef Walter Stemberg ist seit Kindesbeinen im Haus Stemberg und legte schon immer viel Wert auf qualitativ hochwertige Speisen, jedoch ohne seine Kernkundschaft aus den Augen zu verlieren. Das direkte Einzugsgebiet von Velbert ist durchaus übersichtlich, und es war ihm immer klar, dass sein Publikum die Möglichkeit braucht, mehrfach in der Woche bei ihm zu speisen, um dem Restaurant die notwendige Gästefrequenz zu verschaffen. Hohe Preise sind da eher kontraproduktiv. Die daraus resultierende Landhausküche war hochwertig, sättigend und bezahlbar, und zwar in dem Maße, dass es sich bald über das Einzugsgebiet hinaus rumgesprochen hatte. Um es kurz zu machen, Gästemangel war nie das Problem des Haus Stemberg. Die Art und Weise, in der Walter in seiner besten Zeit kochte, war damals ein wenig futuristisch, wenn man bedenkt, dass er unbeabsichtigt so gekocht hat, wie es heute der Megatrend ist. Regionale klassische Gerichte mit hervorragenden Produkten. Seine Qualität war auch der Grundstein für eine gewisse Art von Popularität. Er wurde Fernsehkoch und Kochbuchautor, Autor von Kochglossen in der Welt am Sonntag. Alles sehr breitenwirksam und auflagenstark. Die Kochbücher erreichten durch den Verkauf über einen Discounter sogar sechsstellige Auflagen, die selbst die heutigen Fernsehkochstars nicht erreichen. Dennoch blieb Walter bei seinen Leisten. Er konnte gut kochen, er konnte gut erklären, aber er wusste auch genau, wovon er redete. Sachen, mit denen er sich nicht auskannte, überließ er lieber anderen. So war die Sterneküche für ihn oft Inspiration, jedoch nie Identifikation.

Stemberg heute

Hiermit kommen wir zur aktuellen Stemberg Generation. Sascha Stemberg ist der einzige Nachkomme. Kochverrückt wie sein Vater stand sein Werdegang als Koch nie infrage. Seine Vita liest sich allerdings wenig landhausküchenmäßig:

1999, Pomp-Duck-Circumstances, Hans-Peter-Wodarz & Confiserie Maushagen, Düsseldorf
1999 – 2002, Restaurant Victorian, Günther Scherrer, Düsseldorf
2002, Restaurant Hummerstübchen, Peter Nöthel, Düsseldorf
2003, Hotel Paradis, Mauritius
seit 2003, Restaurant Haus-Stemberg Anno 1864, Velbert
seit 2004 Chef de cuisine

10 Jahre ein und zwei Sterneküche hinterlassen tiefe Spuren

Das Bodenständige ist genetisch in ihm verankert und durch seine Ausbildung in einem Gasthof im nahegelegenen Heiligenhaus manifestiert, aber das Verständnis hochkomplexer Gartechniken, der Zugang zu exotischen Gewürzen und komplexen Aromastrukturen lernt man in der Sterneküche. Sascha ist in dieser Beziehung wie ein Schwamm. Er liebt es, dieses Wissen aufzusaugen und in sich zu speichern. Sein wahres Talent ist es jedoch diese Welten zu mischen, ohne ihnen ihren eigenen Charakter zu stehlen. Die Quintessenz hieraus ist das Konzept – zwei Küchen in einem Restaurant: Die eine Küche ist die Küche seiner Vorfahren, bei der sensibel an den Stellschrauben der Kochtechnik geschraubt wird, ohne ihr die Seele zu nehmen. Gleichzeitig weiß Sascha, was möglich ist und das gibt es in der zweiten Küche. Der Sterneküche, und zwar Sterneküche mit Fug und Recht; denn Sascha hat vom Guide Michelin einen Stern verliehen bekommen. Es war niemand mehr verwundert als er selbst, als es passierte. Denn eigentlich werden Landhausküchen von Guide meist ignoriert, weil Kreativität ja doch ein Hauptmotiv der Verleiher ist. Die findet man in Landhausküchen ja auch eher selten. 

In dieser Konstellation ist das aber nur die Folge der Geschehnisse und die Tatsache, dass Vater und Sohn sich mit demselben Respekt begegnen. Sascha ist nicht der Charakter, der glaubt seinem Vater die Welt erklären zu müssen, nur, weil seine Wanderjahre qualitativ hochwertiger waren. Gleichzeitig ruht sich Walter nicht auf seinen Erfolg aus und besteht nicht auf der Fortsetzung seiner Linie.

Neues Stemberg mit alten Wurzeln

Hieraus ist ein Konzept geboren mit dem Vater und Sohn gut leben können und bei dem es nur einen Gewinner gibt. Den Gast. Ein Blick in die Speisenkarte lässt erahnen, was ich meine. Der Zünftige findet dort eine geerdete Speise, die ihn sättigt, ihm schmeckt, aber nicht überfordert. Der Feinschmecker findet Delikatessen auf höchstem Niveau und der Wanderer zwischen den Welten, wie ich einer bin, findet hier sein zu Hause. Es ist hier nicht nötig und ich meine auch nicht möglich, sich vorher für eine der Küchen zu entscheiden. Nach dem Studium der Karte beginnt die Atlantik Hummer-Blutwurst-Pulpo-Schweinebauch Reise auf eine Art und Weise, wie ich es noch nie anderswo erleben durfte. Nur wenige Kochkünstler in Deutschland schaffen diesen Rösselsprung mit solcher Bravour. Denen, die es schaffen, wie Hans Haas, den ich mit Sascha gerne in einem Atemzug nenne, um aufzuzeigen, wo ich ihn positioniere, zolle ich meinen höchsten Respekt.

Ein Teil des Haus Stemberg erinnert ein wenig an ein bieraffines Gasthaus, aber Walter Stemberg trinkt kein Bier. Er trinkt Wein, und zwar sehr gerne und schon sehr lange. So ist es auch zu verstehen, dass die mehrere Hundert Positionen enthaltende Weinkarte vom Gutswein aufstrebender Jungwinzer bis zu den Spitzenjahrgängen der 1.er und Grand Cru Classé der Topwinzer aus dem Bordeaux alles zu bieten hat, außer vielleicht hohe Preise. Eine sehr ordentliche Flasche Rosé Champagner, egal ob Markenware wie Lanson oder Taitinger oder fachkundig gewählter Winzerchampagner wie die Grand Cuvée von Laurenti werden für unter 70 € pro Flasche formvollendet serviert. Gutsweine kosten meist um die 30 €, Erste und Große Lagen und Gewächse um 50€ pro Flasche. Aber auch im offenen Bereich ist man hier verdammt gut sortiert. 

Kommen wir zum Service

In diesem Moment fällt mir ein Slogan ein, den ich hier ein wenig umformulieren möchte: „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine wunderbare Frau“ zumindest im Haus Stemberg. Coren, Saschas Ehefrau, hält ihm den Rücken frei, wenn es um Angelegenheiten des Service geht. Genauso wie es Petra, die Gattin von Walter, in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. Da Petra und Walter sich verbal immer mehr aus dem Tagesgeschäft zurückziehen, um der jungen Generation Platz zu geben, sich zu entfalten, liegt das Zepter heute ganz klar in der Hand von Sascha. Da das jugendliche Alter von Coren und Sascha natürlich auch bedeutet, dass man genau jetzt für Nachwuchs sorgen sollte, hat dieser ruhige Abgang der älteren Generation natürlich auch den Charme, das Coren ihr bald erwartetes zweites Baby in der Sicherheit austragen kann, dass in den Wochen um und nach der Geburt auf jeden Fall jemand da sein wird, der ihre Aufgaben gerne übernimmt. Die Damen Stemberg sind ausgesprochen liebenswert und haben zu jeder Zeit dafür gesorgt, dass die Speisen ihrer Gatten eben so formvollendet serviert wurden, wie ich es schon bei den Weinen beschrieben habe. Für den Gast ist die Konstellation von reizender Mutter undebenso reizender Schwiegertochter ein Glücksfall.

Zusammenfassend ist, dass „zwei Küchen von einem Herd“ Konzept ein gutes und erfolgreiches Konzept. So erfolgreich, dass man die schon seit Jahrzehnten eingeführte Fünftagewoche beibehalten, konnte und es sich sogar leisten konnte die Ruhetage auf Donnerstag und Freitag zu legen, was ich für weltweit einmalig halte.

Die Voraussetzung ein solches Konzept erfolgreich umzusetzen, hat aber nicht jeder!

Zuerst müssen die platzmäßigen Bedingungen stimmen. Weniger als 60 Sitzplätze wären hier ein K. o.-Kriterium, was allerdings auch für viele andere Konzepte zutrifft. Wenn das Objekt jetzt auch noch Eigentum ist, dann erleichtert das noch umsomehr.

Um Landhausküche wirklich attraktivzu gestalten, muss man über verdammt gute Produktkenntnisse und Erfahrung verfügen. Es gibt nichts Himmlischeres, als ein gut zubereiteter Schweinebauch aus artgerechter Haltung, und es gibt nichts Schrecklicheres als, ein schlecht zubereiteter Schweinebauch aus Massentierhaltung. 

Um den Dreiklang guter Service, gute Landhausküche und gute Sterneküche komplett zu beherrschen, führt natürlich auch kein Weg an einer fundierten Ausbildung in der Sterneküche vorbei. Scherrer und Nöthel waren in der Stemberg Konstellation wohl geradezu die perfekten Antagonisten für Sascha Stemberg, da beide zwar das große Einmaleins der Sterneküche beherrschen, aber in beiden Sterneküchen das Hauptaugenmerk auf das Produkt gelegt wurde, und nicht auf die Schäumchen, Punkte und Gelees, die oft in der verspielten Variante der Sterneküche zu finden sind. 

Hilfreich sind der traditionelle Hintergrund und das Backup durch die Familie auf jeden Fall, wobei in vielen Familienbetrieben ein Übergang in eine neue Generation sehr problematisch sein kann, wenn der Ältere das neue Konzept nicht genießt, sondern bestenfalls erträgt, was ich im Haus Stemberg allerdings nicht empfinde. Vielmehr habe ich hier das Gefühl, dass Walter sehr stolz auf seinen Sohn ist und mit breiten Schultern und stolz geschwellter Brust durch das Restaurant geht, und das mit Fug und Recht.