fiftyfifty – Beistand auf der Straße

Exklusivinterview: Auswirkungen der Corona-Krise auf Obdachlose

Wie fiftyfifty seit 25 Jahren Obdachlosen hilft. Unsere Autorin Karolina Landowski hat sich exklusiv mit fiftyfifty-Gründer Hubert Ostendorf über die Anfänge des Projektes, die Benefiz-Kunst, Housing First, das neue Digital-Abo und die Auswirkungen der Corona-Krise auf Obdachlose unterhalten. Fazit: Jeder von uns kann mit einem kleinen Beitrag sehr viel bewegen!

 

fiftyfifty wird dieses Jahr 25 – was sind für Sie die schönsten Momente ihrer wichtigen Arbeit?

Als wir damals angefangen und die Idee hinter der Straßenzeitung fiftyfifty kommuniziert haben, war die überwiegende Reaktion: So etwas funktioniert in Düsseldorf nicht. Weil die Düsseldorfer hochnäsig seien und kein Herz hätten für arme Leute. Dass die Zivilgesellschaft letztlich aber doch Verantwortung für ihre ärmsten Mitbürger*innen übernommen und sich um sie gekümmert hat, ist an sich schon mal eine tolle Erfahrung. Besonders schön ist der Moment, in dem ein Obdachloser, der vielleicht kurz davor war an seiner Sucht und dem harten Straßenleben zu versterben, eine Wohnung bekommt und es doch schafft.

Ihre Galerie wird von internationalen Künstlern unterstützt, mit gespendeten Werken, die Sie zugunsten der Hilfe für Obdachlose verkaufen. Wie sehr bewegen Sie diese Spenden?

Es ist toll, wie viele hochrangige Künstler sich um Obdachlose kümmern. Vor allem bewegt es mich, wenn wir nicht nur wertvolle Werke akquirieren können, um sie zu verkaufen und von dem Geld dann Wohnungen für Obdachlose kaufen, sondern, wenn die Kunstwerke sich auch inhaltlich mit dem Thema Obdachlosigkeit und Armut befassen. Sie sind damit nicht nur ein Vehikel, um Geld zu generieren und Obdachlose von der Straße zu holen, sondern auch ein wertvoller Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs über Armut. Jörg Immendorff etwa hat für uns eine kleine Skulptur gemacht und nannte sie den „Oscar für Obdachlose“. Es ist sein Symboltier, der Affe, der normalerweise einen Pinsel in der Hand hält. Dieser kleine Affe aber hat in der linken Hand eine Maurerkelle und baut damit ein Haus für Obdachlose. Immendorff war Linkshänder und hat sich mit seiner kleinen Skulptur sozusagen selbst als Baumeister für ein Obdachlosenhaus gesehen. Deshalb heißt seine erste Grafik für uns auch ganz programmatisch „Das ist mein Stein“.

Wie kommt es zur Zusammenarbeiten mit so weltberühmten Künstlern?

Wir bei fiftyfifty interessieren uns von jeher für Kunst. Als wir 1995 das Heft gründeten, wollten wir mit der Zeitung eine große Zielgruppe ansprechen und zugleich einen anderen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs leisten – das schafft die Kunst. Da wir uns an Bilder damals noch nicht herantrauten, baten wir Jörg Immendorff eine Armbanduhr für fiftyfifty zu gestalten. Die Edition von 1999 Stück haben wir innerhalb weniger Wochen verkauft. Immendorff war somit der Nestor unserer Galerie, dann kam Günther Uecker, später dann Gerhard Richter, von dem unser teuerstes Kunstwerk stammt: Eine seiner Grafiken hat uns 120.000 Euro eingebracht. Nicht zuletzt Thomas Ruff hat eine besonders große, nahe und auch menschlich zugewandte solidarische Verbindung zu fiftyfifty. Er macht treu alle zwei Jahre eine Edition für uns. Sehr zugetan sind uns auch Imi Knoebel, der weltweit wohl führende Vertreter von Minimal Art, und seine Frau Carmen Knoebel.

Haben Sie eine persönliche Lieblings-Ausgabe?

Da ich seit 25 Jahren der Redakteur bin, habe ich sehr viele Lieblingsausgaben. Es gibt drei Literaturausgaben, die ich sehr gut finde. Für die haben bedeutende Schriftsteller*innen Texte geliefert. Es gab auch eine Literaturserie, für die Autor*innen von Rang und Namen über Armut geschrieben haben, selbst Nobel-Preisträger wie Günther Grass oder Elfiede Jelinek. Ein Highlight aber war die Harry Potter-Ausgabe. Da hat Joanne K. Rowling, die ja selbst aus armen Verhältnissen stammt, als Unterstützung für alle Straßenmagazine das erste Kapitel von „Harry Potter und der Orden des Phönix“ als Vorab-Druck zur Verfügung gestellt. Von diesem Heft haben wir die dreifache Auflage verkauft. Ich erinnere mich, wie wir sie um Mitternacht vor dem Carsch Haus rausgegeben haben. Da kamen Jugendliche und haben gleich 50 Hefte auf einmal mitgenommen.

Wie können wir fiftyfifty ganz konkret unterstützen?

Wer ein Herz hat und Gespür für die Not anderer Menschen, kann mit vergleichsweise geringen Mitteln sehr viel tun. Das zeigt das Beispiel von Joanne K. Rowling. Oder Gerhard Richter, der uns zwei Dutzend signierte Plakate zur Verfügung stellt und wir damit über 300.000 Euro einnehmen. Ich hatte eine persönliche Begegnung mit Peter Lindbergh. Er hat uns 14 Plakate seiner Ausstellung im NRW Forum signiert und wir haben sie nach seinen Anweisungen veredelt und als Bilder hinter Acrylglas aufgezogen. Für diese Unterschriften haben wir so viel Geld bekommen, dass wir davon ein Apartment kaufen konnten für einen Obdachlosen. Dafür, jemanden nach 30 Jahren Leben Obdachlosigkeit dauerhaft von der Straße zu holen hat Lindbergh etwa 5 Minuten gebraucht. Das hat ihn selbst richtig beeindruckt. „Für 14 Drucke eine Wohnung? Ihr seid verrückt“, hat er begeistert gesagt. Aber man kann auch sein Hobby einbringen, wie etwa die Leiterin eines Strickclubs, deren Mitglieder für uns Schals, Mützen, Handschuhe und Socken stricken. Jeder einzelne kann helfen. Und wenn es nur das ist, die fiftyfifty zu kaufen. Dies ist in Zeiten rückläufiger Auflagen durch Corona und die Digitalisierung sehr sehr wichtig. fiftyfifty hilft ganz konkret Obdachlosen Menschen auf der Straße. Über den Verkauf der Zeitung inkl. Tip werden seit 25 Jahren jeden Monat über 100.000 Euro auf der Straße umverteilt – zwischen Menschen, die Geld haben und Obdachlosen, die nichts haben.

Welches Projekt macht Sie besonders glücklich und stolz?

Dass unsere neue Initiative Housing First, also Obdachlose direkt von der Straße in eine Wohnung zu bringen, mehr und mehr verstanden wird. Wir haben in Düsseldorf über 60 und in ganz NRW zusammen mit dem Paritätischen und Trägern der Obdachlosenhilfe vor Ort noch einmal 70 Obdachlosen ein neues Zuhause geschaffen. Wir bekommen sogar Unterstützung von einigen Vertreter*innen der Wohnungswirtschaft. Makler etwa vermitteln uns direkt Wohnungen, die so dann gar nicht erst auf den heiß umkämpften Markt kommen. Und immer mehr Bürger treten an uns heran, die Geld ethisch anlegen möchten. Indem sie eine Wohnung kaufen und an Obdachlose vermieten wollen. So einen großen Vertrauensbeweis habe ich vor 25 Jahren nicht für möglich gehalten.

fiftyfifty gibt es jetzt auch digital – warum jetzt?

Durch die Digitalisierung geht die Auflage leider zurück, also haben wir das Digital-Abo eingeführt. Um fiftyfifty zu retten. Wir sind zuversichtlich: Wer digital abonniert, wird dennoch weiterhin Zeitungen auf der Straße kaufen. Denn fiftyfifty funktioniert eigentlich am besten als Papier-Ausgabe. Der Verkauf des Heftes bedeutet Tagesstruktur und den Kontakt zwischen Arm und Reich. Diejenigen, die uns seit Jahren treu sind, wissen das. Deshalb konnten wir in nur wenigen Wochen etwa 300 Abos akquirieren. Hier geht es direkt zum Digitalabo.

Was erwartet die Besucher in der fiftyfifty-Austellung im NRW Forum?

Werke von weltberühmten Künstler*innen, aber auch von Studierenden. Die Kunstprofessorin Katharina Mayer etwa hat Obdachlose fotografiert und auf Holz geduckt, was sie wie moderne Ikonen wirken lässt. Gerhard Richter hat uns einen Tiger als Grafik zur Verfügung gestellt, für den schon jetzt Gebote abgegeben werden. Außerdem: Eine Installation aus 25 x 25, also 625 Goldfischen des Japaners Masakazu Kondo. Thomas Hirschhorn hat ein Unikat namens „FiftyFifty“ gespendet, das er schon 1992 gemacht hat, als es unser Projekt noch gar nicht gab.

Die Vernissage ist am 13. November, alle Kunstwerke können für den guten Zweck erworben werden und sind auch online unter www.fiftyfifty-galerie.de zu sehen.

Die Corona-Pandemie trifft gerade die Ärmsten besonders hart. Wie war die Situation für die Düsseldorfer Obdachlosen in den letzten Monaten?

Für die Obdachlosen ist Corona eine Katastrophe. Zum einen sind die Verkäufe der Zeitung eingebrochen, zum anderen werden sie von einigen Mitmenschen behandelt als hätten sie die Pest. Dabei sind sie sogar besonders gefährdet, weil ihre Abwehr durch das Leben aus der Straße geschwächt ist. Wir haben die Obdachlosen unmittelbar mit Masken ausgestattet, damit die Kontaktvermeidung möglichst gering ausfällt. Nachdem die Tafeln geschlossen hatten, gab es für Obdachlose kaum noch Einnahmen aus dem Verkauf von fiftyfifty und auch keine Unterstützung mit Lebensmitteln mehr. Viele haben draußen geschlafen, weil sie Angst hatten, sich in Notunterkünften zu infizieren. Als im April alle Straßenzeitungen in Deutschland ihre Ausgabe eingestellt haben, haben wir trotzdem eine gemacht und die Hefte den Verkäufer*innen geschenkt, damit sie in dieser schweren Zeit doch noch etwas Geld verdienen konnten. Wir wollten damit zeigen: Obdachlose sind Teil des Straßenbilds und können auch nicht einfach so nach Hause gehen. Wer kein Zuhause hat, kann nicht nach Hause gehen. Gemeinsam mit dem Kulturzentrum zakk haben wir eine Lebensmittelausgabe initiiert. Jeden Tag kamen bis zu 200 Bedürftige. Zu unserem Erstaunen nicht nur Obdachlose, sondern auch sehr viele Menschen aus der bürgerlichen Mitte, die durch Corona in Armut geraten waren. Knapp 50 Prozent haben noch nie zuvor Lebensmittelspenden benötigt. Ein Hinweis darauf, dass Corona die Armut immens verstärkt.

Hat sich die Situation mittlerweile verbessert?

Die Tafeln haben wieder geöffnet, ebenso die Geschäfte und somit ist auch das öffentliche Leben auf die Straße zurückgekehrt. Die Situation hat sich leicht verbessert. In unserer Sozialberatung können wir aber den normalen Beratungsbetrieb seit Monaten nicht mehr aufrechterhalten. Wir beraten durch die Scheibe. Wir hoffen, dass die Menschen vernünftig sind und sich an den Infektionsschutz halten. Es ist besser, das öffentliche Leben mit Maske aufrechterhalten, als einen weiteren Lockdown zu riskieren. Für die Obdachlosen und für uns alle.

Text & Interview: Karolina Landowski für Mr. Düsseldorf
Fotos: fiftyfifty

fifty-fifty | www.fiftyfifty-galerie.de